"Die habe ich bei meiner Zeremonie bekommen. Jeder bekommt eine, und wir ziehen sie nie aus. Ich denke nicht, dass ich sie überhaupt abbekommen würde. Sie ist mir wichtig, und ich mochte den Stein schon immer. Damals war er noch blank, ohne die Einkerbungen." Gedankenverloren blickte ich den Stein an.
"Als Junges hatte ich etwas, was die anderen nicht hatten. Bei ihnen zeigte die Erziehung Wirkung, bei mir nicht. Ich war neugierig, und ich fragte viel. Das hat den Anführern nicht gefallen. Besonders Change hatte immer ein Auge auf mich, aber auch der andere Anführer, Rock. Eine Art Stellvertreter für ihn. Deshalb bekam ich Viper als Mentor. Er war streng, er war hart. Er war emotionslos. Ich lernte alles, was ich können musste." Ich blickte an meinem Fell hinab.
"Erinnerst du dich daran, was ich darüber sagte, dass wir nur noch körperlichen Schmerz spüren sollten? Sichelmonde und Sterne. Die Monde sind in der Regel auch das Produkt meiner Gene, aber die Sterne... Viper war ein Meister darin, mit den Krallen umzugehen." Ich lachte. "Er fand es äußerst passend, mir Zeichnungen zu verpassen, die auch zu meinem Namen passten. Es sind Wunden an der Oberfläche, über die nur an den Rändern wieder Fell gewachsen ist."

"Was für ein Monster...",gab ich empört von mir

Ich legte den Kopf leicht schief. "Monster ist ein relativer Begriff. Im Nachhinein betrachtet wusste er es nicht besser. Es ist das, was ihm eingetrichtert wurde. Was uns allen eingetrichtert wurde." Ich rammte die Krallen in den gefrorenen Boden, sodass es beinahe weh tat.
"Ich hatte jemanden. Jemanden, dem ich mich anvertrauen konnte. Sie hieß Ivory, und sie war alt. Alt und weise. Sie riet mir, die Gruppe zu verlassen, doch ich wollte nicht. Ich hatte meine Familie dort. Dennoch zog es mich raus, also unternahm ich im Geheimen immer wieder Streifzüge. Ich lernte andere Katzen kennen, und ihre Lebensweisen." Ich machte eine kurze Pause.
"Und dann kam der Tag, an dessen Abend mein Bruder und ich Krieger werden würden."

aufmerksam hörte ich ihm zu und peitschte mit dem schweif hin und her

"Wir wurden geweckt, und hinaus in den Wald geführt, von unseren Mentoren. Der von Storm hieß Duke. Rain trainierte nicht mit uns, denn Kater und Kätzinnen wurden für die Zeit als Auszubildende strikt getrennt. Es war, als würden wir in zwei verschiedenen Lagern lebten, die sich erst ab der Kriegerzeremonie zusammenfügten. Wie zwei Hälften." Ich blickte in die Ferne.
"Wir wurden geprüft. Jagen, Schwimmen, Klettern, alles. Nur das Kämpfen blieb aus, bis zum Schluss. Wir kamen auf einer Lichtung an, und Duke und Viper verschwanden. Die einzigen, die blieben, waren Change und Rock. Und vor einem Baum stand Ivory. Sie hätte fliehen können, ich wusste es genau. Aber sie wollte nicht. Sie war alt. Für die Gruppe hatte sie keinen Nutzen, und sie hatte es gewusst. Sie hatte bereits Anmerkungen gemacht, doch ich war zu stumpf, zu geblendet und zu blöd gewesen, sie zu verstehen!" Ich hieb die Krallen erneut in den Boden. Meine Pfote zitterte. "Wäre ich gegangen, würde sie vielleicht noch leben."

"Ist ja widerlich,so mit jemandem umzugehen",fauchte ich wütend

Ich lächelte bitter. "Sie war die, wegen der ich heute überhaupt noch in der Lage bin, Dinge zu fühlen. Nicht alles. Einiges ergibt in meinen Augen immer noch keinen Sinn. Aber Freundschaft... Freundschaft kann etwas reales sein." Ich atmete tief durch.
"Change blickte mich also an, und ich spürte den Hohn in seinen Bernsteinaugen förmlich. Er kannte meine Beziehung zu ihr, und er nutzte sie für seine Zwecke. Er wollte mich auf die Probe stellen, und formte kalt zwei Worte. 'Tötet sie'. Ich blickte zu Storm, doch in seinen gelben Augen war nur Leere zu sehen. Er schoss los, und ich musste es ihm gleichtun. Ich wusste, Changes Blick lag auf mir. Ich hätte gehen können, doch ich wollte nicht. Da war Rain, da waren meine Eltern. Und ich hatte Angst vor dem, was Change und Viper tun würden, wenn sie mich fanden. Ich war jung. Nicht so wie die Schüler eines Clans, die alt genug dafür sind, wenn sie zu Kriegern werden. Ich kämpfte mit Ivory. Mit meiner Freundin. Und als sie geschwächt und blutend auf dem Boden lag, blickte Storm mich kalt an. Ich hatte ihr nicht viele Wunden zugefügt. Ich konnte es nicht. Doch ich zögerte, und so schoss seine Pfote vor. Mein Bruder brachte sie um. Und Change blickte mich die ganze Zeit über wachsam an." Ich hob den Kopf und blickte zum Himmel.
"Bei Sonnenuntergang war es so weit. Storms und meine Zeremonie. Unsere Mentoren ritzten Zeichen in die Anhänger unserer Ketten, und es war offiziell. Ich schlief nicht in der Nacht. Ich wollte abhauen, einfach verschwinden. In dem Moment wollte ich es. Aber als ich aus dem Bau trat, nach Sonnenaufgang, bemerkte ich den Respekt, den mir alle jetzt darbrachten, wo ich kein wertloser Auszubildender mehr war. Es blendete mich. Und wie das Gesetz lautete, war zwei Sonnenaufgänge nach meiner Zeremonie eine neue dran." Ich legte den Kopf leicht schief.
"Wie soll eine Gruppe überleben, in der keine Gefühle existieren? Wie kommt es zu Nachwuchs? Wieso waren die Kater und Kätzinnen getrennt? Der Grund war doch so simpel. Beide erhielten eine andere Ausbildung. Die Kater wurden dazu ausgebildet mit den Krallen zu spielen, die Kätzinnen mit Gefühlen. Zwei Sonnenaufgänge nach der Kriegerzeremonie eines Katers bekam er eine Partnerin zugeteilt. Sie wurde sorgfältig von Anführern und Mentoren ausgesucht, denn durch eine perfekte Kombination von Stärken und Schwächen sollten die bestmöglichen Erbanlagen geschaffen werden."

Schweigend sah ich ihn an.ich wusste nicht was ich sagen sollte

"Naja, und dann war es so weit. Storm bekam Star zugeteilt. Sie war noch ziemlich jung, sogar noch eine Auszubildende. Und ich... Leaf. Sie war hübsch. Hatte hellbraun getigertes Fell mit blattgrünen Augen. Ich spielte ihr Spiel eine Weile mit, aber irgendwann war ich es Leid. Es war immer dasselbe. Dieselben Gesten und dieselben Worte, nur nichts davon war wahr. Ich streifte immer wieder nachts umher, bald auch tagsüber, und lernte noch mehr über das Leben dort draußen. Eines Morgens kam Leaf auf mich zu. Irgendwann war es für jedes Paar Zeit, für Nachwuchs zu sorgen, und auch Storm hatte vor wenigen Sonnenaufgängen mit Star seinen ersten Wurf bekommen. Aber ich war einfach nicht bereit. Ich würde es nie sein, das wusste ich. Noch in der nächsten Nacht verschwand ich, und kehrte nie wieder zurück." Ich streckte die Vorderpfoten von mir.
"Ich kam hierher, lernte dich kennen, und die anderen. Aber ich bin eben kein Streuner. Ich brauche Freiraum, aber auch Gesellschaft. Die Kette blieb, und einiges anderes auch. Ich fühle Dinge. Nur das, was ihr 'Liebe' nennt, ist mir fremd. Ich betrachte es nicht als etwas reales. Es ist seltsam.. wenn ich @Freiheitsträne angucke, nur als Beispiel. Ich merkte, dass sie hübsch ist. Sie hat strahlend weißes Fell, wie frisch gefallener Schnee." Meine Schnurrhaare zuckten kurz. "Ich frage mich manchmal, wie sie es anstellt, dass es nie dreckig ist. Ihre Augen sind tiefblau, werden nach außen hin aber immer blasser. Sie ist schlank, grazil und anmutig. Sie ist klug, redet aber nicht gerne, und lässt sich ausgesprochen leicht provozieren. Es macht mir Spaß, auszutesten, wo ihre Grenzen liegen. Bevor ich zu dir kam, habe ich eine überschritten. Und sie eine von meinen. Aber ich 'liebe' sie nicht. Ich 'liebe' auch dich nicht, sondern empfinde nur Freundschaft für dich. Und ihr seit die Kätzinnen, mit denen ich am meisten zu tun habe. Wenn ich eure sogenannte 'Liebe' bei euch nicht, und auch sonst bei keinem anderen empfinde, wieso sollte sie dann in mir noch existieren?"

Einen Moment lang sah ich ihn einfach nur an."Mhm..tut mir leid aber wenn du über 'Liebe' reden willst,bist du bei mir wohl nicht richtig..",miaute ich nachdenklich "Hatte ja selbst noch nie Erfahrung damit."